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Teil 2:
„Ich war in der Lage zu erzählen, was mir widerfuhr. Auch anderen. Das schützte mich.“

 

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NAORS,
28 JAHRE ALT,
LEDIG,
POET, WORTVERKÄUFER, TRÄUMER

Ich beobachtete, wie mein Schmuck in die Tasche eines Polizisten wanderte. Ich rannte zu ihm, sah sofort, dass meine Goldkette fehlte. Er schubste mich weg. „Don’t touch me. Stop!“, brüllte ich. Er wich zurück. Mein Englisch beunruhigte ihn. Ich war in der Lage zu erzählen, was mir widerfuhr. Auch anderen. Das schützte mich. Er ließ von mir ab, ich nahm ihm meine Bauchtasche weg. Darin war alles, was ich brauchte. Geld, Pass und das, was ich seit meinem Aufbruch in Damaskus mein Herz und mein Gedächtnis nenne – mein Telefon.

Zu Teil 2

 

Teil 1:
„Stark ist, wer Geld hat, Erfolg misst man bei uns am Kontostand. So verlor ich meine Träume aus den Augen.“

 

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NAORS,
28 JAHRE ALT,
LEDIG,
POET, WORTVERKÄUFER, TRÄUMER

Trotz Krieg, Krise und Revolution, oder wahrscheinlich genau deswegen, stiegen meine Umsätze Monat für Monat. Ich machte bald 2.500 Dollar, mit nur einem Internetzugang. Hätte man mich erwischt, wäre ich meine Computer losgewesen und wahrscheinlich für ein Jahr oder länger ins Gefängnis gegangen. Mein Glück war, dass in dieser Zeit kein Polizist mehr den Nerv oder die Zeit hatte, sich um derartige Kleinigkeiten wie ein illegales Internetcafé zu kümmern.

Zu Teil 1


„Ich konnte die Kids nicht enttäuschen und ließ meinen Vertrag in Dubai sausen. Ich fand diese Arbeit sinnvoller – im Vergleich dazu, reichen Leuten das Reiten zu lehren.“

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M. A.,
35 JAHRE ALT,
VERHEIRATET, ZWEI KINDER,
SPRINGREITER, REITLEHRER, TISCHLER

Unsere Rückkehr katapultierte uns aus dieser heilen Welt in ein Krisengebiet, zu dem meine Heimat in der Zwischenzeit geworden war. Ich sah, was in meinem Land vor sich ging und verließ meinen Reitklub. Ich konnte nicht anders. Zehn Monate lang leistete ich humanitäre Hilfe, half denen, die bereits alles verloren hatten in den Kämpfen. Mit dieser Arbeit machte ich mir viele Feinde, immer häufiger wurde ich persönlich bedroht. Es muss Ende 2011, Anfang 2012 gewesen sein, als ich merkte, dass auch ich tatsächlich in Gefahr war.

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„Wir sind mit unseren Lebensentwürfen, mit unseren kleinsten Wünschen, immer wieder am Krieg gescheitert.“

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A. H.,
24 JAHRE ALT,
LEDIG, STUDENT DER INFORMATIK,
CUSTOMER RELATIONS MANAGER, TRANSPORTLOGISTIKER

Meine Eltern hatten große Angst um unsere Sicherheit, als wir uns auf den Weg nach Deutschland machten. In Istanbul erzählten uns andere Flüchtlinge von ihren gefährlichen Versuchen, mit dem Boot nach Griechenland zu gelangen. Meine Eltern beschlossen, mit meinen jüngeren Geschwistern und meiner älteren Schwester in der Türkei zu bleiben, ich hingegen machte mich auf den Weg über das Meer. Ich verabschiedete mich von meiner Familie und ahnte noch nicht, dass ich meine Mutter nicht wiedersehen würde.

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„Die Russen hatten das Land verlassen. Wir aber lebten nicht in Frieden, sondern in Schutt und Asche.“

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N. M.
30 JAHRE ALT,
VERHEIRATET, VATER VON VIER KINDERN
(ZWEI SÖHNE, ZWEI TÖCHTER), KFZ-MECHANIKER

Mein Vater, der lange vor meiner Geburt für die Regierung arbeitete und sich politisch für seine Überzeugungen einsetzte, ahnte damals noch nicht, dass er schon bald mit Waffen für sie kämpfen müsste. Not, Hunger, Armut und Angst waren unserer Alltag, seit die Russen ins Land kamen. Schließlich kam tiefe Trauer hinzu. Trauer um Familienmitglieder. In der Theorie führen Kriege zu Siegen oder Niederlagen, in der Praxis immer zu Verlust.

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„Es geht nicht um meine Zukunft. Ich bin diesen Weg für meine Töchter gegangen.“

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A. H.,
27 JAHRE ALT,
VERHEIRATET, FÜNF TÖCHTER,
ARBEITER, MUSIKER

Mein Vater, der schon in seiner Heimat nicht gut darin war, Unrecht zu ertragen, setzte sich vom ersten Tag für Menschen ein, die im Iran Zuflucht suchten. Schnell war sein Engagement vielen Leuten in Kerman ein Dorn im Auge. Ständig versuchten Lokalpolitiker meinen Vater zu korrumpieren in der Hoffnung, er würde den teilweise menschenverachtenden Umgang mit Flüchtlingen im Iran nicht weiter thematisieren. Ich spürte, dass das Wort meines Vaters Gewicht hatte. Weil er sich nicht kaufen ließ.

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„Ich bin seit 50 Tagen in Deutschland. Das sind die ersten 50 Tage meines Lebens, an denen ich keine Angst hatte.“

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H.H.
31 JAHRE ALT,
2012 GESCHIEDEN,
VATER ZWEIER KINDER (7/13),
BERUFSWUNSCH: KAMERAMANN

Ich bin 1984 geboren, habe fünf Brüder und vier Schwestern. Die Bevölkerung meiner Heimat ist tief gespalten, die Geräusche meiner Kindheit sind Geräusche des Krieges. Seit ich denken kann, schlittert mein Heimatland von einer Krise in die nächste und jedes Mal, wenn ich hoffte, jetzt könnte es endlich besser werden, die Angst aufhören, gingen die Auseinandersetzungen von vorn los. Das Einzige, was sich änderte, waren die Gesichter der Bedrohung.

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„Ich verstand die Welt nicht mehr, aber ich spürte, dass sich etwas veränderte in meinem Land.“

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N. a.-S.
24 JAHRE ALT,
MUTTER EINES SOHNES (6),
LEHRERIN, RETTUNGSSANITÄTERIN
UND BESITZERIN EINES FRISEURSALONS

Anfang August hatten wir jemanden gefunden, der uns in die Türkei bringen wollte – meine Eltern, meine kleinen Geschwister, meinen Sohn und mich. Meine zwei Brüder waren da noch immer in unserer Heimat im Süden. Sie hatten dort Arbeit; das Geld, das sie verdienten, ermöglichte uns die Flucht. Für sie gab es allerdings nur eine Möglichkeit, unsere frühere Heimat ohne Gefahr für Leib und Leben zu verlassen. Sie mussten sich offiziell von uns, ihrer Familie, und ihrer Glaubensrichtung lossagen.

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„Voller Tatendrang kehrte ich zurück und lief voll gegen die Wand.“

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H.A.,
47 Jahre alt,
verheiratet, zwei Kinder,
von Beruf technische Zeichnerin,
Restauratorin, Besitzerin einer Reitschule.

Auf einem Zeitstrahl symbolisiert eine gerade Linie ein Leben. Ich vermute daher, ein Zeitstrahl ist nicht das richtige Symbol für meine Realität. Meine Biographie ist gezeichnet von Umwegen, Haken, Extrarunden. Keine dieser Abweichungen vom geraden Weg bereue ich, weil sie mich zu der Person machen, die ich heute bin, zu einer stärkeren, weil ich gelernt habe, mit unerwarteten Wendungen umzugehen.

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„Ich hatte das Lager voller teurer Möbel, aber keinen einzigen Cent in der Tasche.“

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K. K.,
46 Jahre alt,
verheiratet, zwei Kinder,
von Beruf technischer Zeichner,
Kleiderbügelhersteller, Möbeldesigner.

Oft begegnet einem das Glück – und hat die Katastrophe im Schlepptau. Ich habe mir einiges aufgebaut – und vieles zusammenbrechen sehen.
Ich weiß, was es heißt, bei Null anzufangen. Und ich weiß, dass ich auch dieses Mal auf den Füßen landen werde, landen muss.

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