„Ich hatte das Lager voller teurer Möbel, aber keinen einzigen Cent in der Tasche.“
K. K.,
46 Jahre alt,
verheiratet, zwei Kinder,
von Beruf technischer Zeichner,
Kleiderbügelhersteller, Möbeldesigner.
Oft begegnet einem das Glück – und hat die Katastrophe im Schlepptau. Ich habe mir einiges aufgebaut – und vieles zusammenbrechen sehen.
Ich weiß, was es heißt, bei Null anzufangen. Und ich weiß, dass ich auch dieses Mal auf den Füßen landen werde, landen muss.
Ich bin 1969 geboren. Als ich ein Kind war, lebte ich im historischen Zentrum meiner Heimatstadt, inmitten flacher Altbauten, deren bröcklige Fassaden Geschichten aus Jahrzehnten, Jahrhunderten erzählten. Mit 12 etwa, ich kam gerade in die sechste Klasse, zogen wir um – in eines der neu entstandenen Viertel am Stadtrand, in einen Plattenbau, dessen Geschichte noch vor ihm lag. Wir – das sind mein Vater, meine Mutter, meine vier Schwestern, mein Bruder und ich.
Schon meine frühesten Erinnerungen spielen in der kleinen Fabrik meines Vaters. Eine Fabrik für Kleiderbügel, in der ich große Teile meiner Kindheit mit Arbeit verbrachte. Bevor ich zur Schule kam, als kleiner Junge, fegte ich die Sägespäne zusammen. Später gingen meine Schulfreunde in die Ferien und ich in die Fabrik. Ich wuchs heran und mit mir meine Aufgaben im Betrieb. Ich wurde zu einem richtigen Arbeiter, stand kurz vorm Abitur und im Sägemehl an den Maschinen. Zwar war ich der Sohn vom Chef, doch Privilegien brachte mir das keine. Es war Knochenarbeit. Eine Quälerei, die schon früh den Wunsch in mir reifen ließ, eine andere Zukunft zu suchen.
Nach dem Abitur studierte ich Technisches Zeichen an einer Fachhochschule. Zwei Jahre später war ich Absolvent und bereit, mein Leben in die Hand zu nehmen, auf eigenen Beinen zu stehen. Doch vor dem Verdienst: Wehrdienst. Zweieinhalb Jahre Armee, eine Pflicht, die ich glücklicherweise in der Verwaltung ableistete, nicht an der Waffe. In jeder freien Minute stieg ich mit meinen Freunden auf die Fahrräder. Wir ließen die Stadt, das Militär, den Trubel hinter uns und fuhren hinaus ins Grüne, zu den Obstanbaugebieten. Dort draußen, 50 Kilometer vor den Toren der Stadt, verbrachten wir wunderbare Nachmittage, Abende, ganze Tage und Nächte. Dort draußen entdeckte ich auch meine Leidenschaft, die mich seither mein ganzes Leben begleitet: das Reiten.
Mein Vater, ein einfacher Mann
Die Armeezeit ging zu Ende. Motiviert und getrieben von dem Wunsch, nicht zurück in die Fabrik meines Vaters zu gehen, fand ich eine Stelle als technischer Zeichner in einem Architekturbüro. Miserables Gehalt, Aufstiegsmöglichkeiten gleich Null.
Als mein Vater schwer krank wurde und die Lebensgrundlage unserer Familie wegbrach, weil er die Arbeit nicht mehr leisten konnte, verbrachte ich wieder mehr Zeit in der Fabrik.
Ich war 23 und musste einsehen, dass ich gerade dabei war, die Fabrik meines Vaters zu übernehmen, aus Verantwortung gegenüber meiner Familie. Ich war 23 und stand in einem absoluten Chaos. Von Organisation verstand mein Vater nicht viel. Gab es einen Auftrag, rückte die gesamte Belegschaft an, ganz gleich wie viele Hände tatsächlich gebraucht wurden. Die Männer arbeiteten an vollkommen veralteten Maschinen und was mein Vater einnahm, gab er wieder aus, für die Familie. Ich war 23 und stand in einer Fabrik, die zwar irgendwie funktionierte, aber in der noch niemand etwas von Personalplanung, Buchhaltung und der Notwendigkeit, Reserven zu bilden, gehört hatte. Ganz zu schweigen von Marketing und Werbung. Mein Vater war ein einfacher Mann mit einer kleinen Fabrik.
Nun sollte der Versuch, Ordnung in dieses Chaos zu bringen, zu meinem Hauptberuf werden. Es musste sich also einiges ändern, nicht nur meine Lebensplanung. Innerhalb von zwei Jahren zog ich den kompletten Betrieb auf links, teilte das Personal sinnvoll in Schichten auf, bildete Arbeitsgruppen für die verschiedenen Produktionsbereiche, brachte Ordnung in die Bücher. Ich begann, neben den Standardprodukten neue, hochwertigere Holzarten zu verarbeiten. Ich wollte unser Angebot breiter aufstellen, verschiedene Produkte anbieten, von billig bis edel für jeden Kunden den richtigen Bügel im Sortiment haben.
Es funktionierte. Meridian, Sheraton, alle großen Fünf-Sterne-Hotels, die aus der Erde schossen, gehörten bald zu meinen Kunden. Auch Benetton, Zara und andere Modelabels eröffneten damals ihre Filialen im ganzen Land und kauften ihre Bügel bald bei mir. Ich spazierte überall einfach rein, stellte meine Produkte vor und sammelte Aufträge ein.
Der Umzug und die Katastrophe
Angesichts der Auftragslage brauchte ich dringend mehr Platz. Wir zogen in drei große Produktionshallen in einem Gewerbegebiet am Stadtrand. 600 Quadratmeter Fläche, die ich zwei Jahre mietfrei nutzen durfte. Glücklicher Zufall und willkommene Starthilfe – das Grundstück, auf der meine neue Fabrik stand, gehörte meinen Schwiegereltern. Auch das Holz und die Maschinen bekam ich zunächst von meinen Partnern gestellt. Sie gewährten mir einen Zahlungsaufschub, bis ich das erste Geld mit der neuen Fabrik verdiente. Nun hatten wir genügend Platz, um durchgehend zu produzieren und unsere Produkte einzulagern, damit kein Kunde mehr auf seine Bestellung warten musste. Die Geschäfte liefen hervorragend. Zu gut, vielleicht.
2004 hing das ganze Lager voller Kleiderbügel, Unmengen verschiedener Modelle, als einer meiner Arbeiter einen leichtsinnigen Fehler machte. Er schweißte, dass es Funken schlug und binnen Sekunden stand alles in Flammen. Das Holzlager, das Bügellager, alles, was in diesen Hallen stand, war Brandbeschleuniger. Ein einziger Schweißfunken war in einer der Lackwannen gelandet, in die wir die Bügel zur Färbung tauchten – alles ging in Rauch auf. Verschont blieb nur – Glück im Unglück – die Produktionshalle, in der die teuren Maschinen standen.
Ich stand in der Asche meiner Lagerbestände und wusste, dass ich jetzt nicht aufhören durfte. Meine Frau stärkte mir den Rücken, organisierte die Aufräumarbeiten, trommelte Familie und Freunde zur Hilfe zusammen und gab mir das Gefühl und die Sicherheit, dass es weitergehen konnte. So stand ich nach dem Brand ohne einen Tag Pause wieder an den Maschinen, um die offenen Bestellungen abzuarbeiten und die Lager wieder aufzufüllen. Man kann sich kaum ausmalen, wie groß der Kleiderbügelbedarf einer funktionierenden, mittelgroßen Volkswirtschaft ist. Ein Jahr nach dem Brand boomte das Geschäft wieder. Die große Nachfrage führte mich 2005 bis nach China. Die fixe Idee, chinesische Kleiderbügel zu importieren, verwarf ich allerdings schnell wieder angesichts der mangelnden Qualität und des bürokratischen Aufwands rund um die Einfuhr. Alles, was ich verdiente, steckte ich stattdessen sofort wieder in meine Produktion.
In dieser goldenen Zeit erzählte mir ein Freund von einem Geschäftsmodell. Die Fabrik lief, ich hatte etwas Geld übrig, also stieg ich ein. Es ging um die Färbung von Rohtextilien. Dass ich nicht einmal heute genauer sagen kann, was das konkrete Geschäftsmodell damals wirklich war, hätte mir eine Warnung sein müssen. So hatte ich nach einem Jahr viel Geld verloren, aber auch eine teure Erkenntnis gewonnen: Ich habe mir geschworen, nie wieder Geschäfte mit Dingen zu machen, von denen ich keine Ahnung habe.
Die eigene Reitschule und ein neues Standbein
Wirklich Ahnung hatte ich hingegen mittlerweile von Pferden. Schon seit Anfang der Neunziger waren die Ausritte, die ich regelmäßig machte, meine Kurzurlaube. Auch meine Frau und meine Kinder teilen diese Leidenschaft. Kurzerhand gründeten wir 2006 auf einem Gelände nahe meiner Fabrik eine Reitschule. Wenn ich bei meinen Pferden war, kam ich zur Ruhe, konnte über das Leben nachdenken, über meine Pläne und Wünsche.
Ich spürte in dieser Zeit immer deutlicher, dass mich meine Kleiderbügel mehr und mehr langweilten. Mir fehlte die kreative Arbeit. Wo die Form der Funktion folgen muss, gerät man nach 30 verschiedenen Kleiderbügelkreationen unweigerlich an die Grenzen seiner Phantasie. Ich spürte eine Sehnsucht nach Veränderung.
Für unsere Reitschule baute ich einen Holzspielplatz, der zu meiner kleinen Rettung werden sollte. Mit diesem Spielplatzentwurf besuchte ich 2007 eine Messe und die Besucher waren begeistert. Die Reaktionen machten mir Mut, etwas vollkommen Neues zu wagen. Ich fing an, Gartenmöbel zu entwerfen. Tische, Stühle, Bänke, Pergolas, andere Spielplatzmodelle. Schon auf der nächsten Messe, ein Jahr später, konnte ich wesentlich mehr Produkte zeigen und wieder stießen meine Arbeiten auf reges Interesse bei den Besuchern. Ich hatte mir ein neues Standbein aufgebaut.
Alles hat seinen Zweck, und so brachten mich die Kleiderbügel und das Geld, das ich mit ihnen verdiente, an mein eigentliches Ziel. Ich entwarf und baute nun Möbel – Produkte, die mich kreativ und handwerklich forderten und mir wesentlich mehr Freude bereiteten. Ich wurde Möbeldesigner.
Der Tragödie zweiter Teil
Es war 2008, als einer meiner Mitarbeiter gegen Feierabend einen mit Holzöl getränkten Lappen in einen Eimer warf. Ein kleiner Handgriff mit fatalen Folgen. Holzöl härtet bei Kontakt mit Sauerstoff aus. Dabei entsteht Wärme. Kann diese Wärme nicht entweichen, kommt es schlimmstenfalls zur Selbstentzündung. Der ölgetränkte Lappen fing im Eimer Feuer, die Flammen griffen um sich, genährt vom Holz. Schließlich explodierte zu allem Übel auch noch ein Fass mit Lösungsmittel. Nichts ahnend hatte ich am Abend die Fabrik verlassen, die in dieser Nacht zum zweiten Mal innerhalb von vier Jahren in Rauch aufgehen sollte.
Ich war desillusioniert, am Boden zerstört, aber wieder war es meine Frau, die mir Mut machte, die mich darin bestärkte, weiterzumachen, wieder von vorn anzufangen, sofort zurück an die Maschinen zu gehen, die das Feuer glücklicherweise abermals verschont hatte.
Mit vereinten Kräften kamen wir schnell wieder auf die Beine. Ich hatte das ehrgeizige Ziel, jedes Jahr eine neue Möbelkollektion an den Start zu bringen – trotz der zusätzlichen Arbeit durch den Brand. Wir schafften es. Schnell hatten wir die ersten Aufträge für größere Stückzahlen. Es schien, als wäre ich mit meinen Gartenmöbeln auf eine Marktlücke gestoßen. Außerdem hatten wir viel Geld in Werbung und Messeauftritte gesteckt, was sich nach und nach auszahlte. Die wachsende Nachfrage war der gerechte Lohn für alle Mühen.
Der große Auftrag und das Ende
2011 bekamen wir einen großen Auftrag, der uns über die Landesgrenzen hinaus bekanntmachte. Eine amerikanische Restaurantkette stattete die Außenbereiche ihrer Filialen im Ausland mit unseren Möbeln aus. Die Zusammenarbeit begann mit drei Filialen in Saudi-Arabien. Insgesamt sollten wir die Möbel für 32 Filialen bauen. Zu diesem Zeitpunkt waren wir noch guter Hoffnung, dass sich die politische Lage wieder beruhigen wird. Längst hat die Zeit uns diese Hoffnung genommen.
Die Transportwege durch das Land wurden immer unsicherer. Nur mit viel Glück brachten wir die Möbel für die dritte Filiale noch auf dem Landweg über die Grenze. Neues Holz für die Produktion bekamen wir jedoch nicht. Was wir bestellten, kam nicht mehr bei uns an. Mein Auftraggeber hatte große Geduld, war letztendlich aber gezwungen, den Auftrag für die übrigen 29 Filialen anderweitig zu vergeben. Unsere Produktion stand still, nichts ging mehr.
In einem letzten Akt der Verzweiflung mietete ich einen Laden im Zentrum, um meine Lagerbestände zu verkaufen. Aber das Land, die Stadt, die Wirtschaft, alles brach in jenen Tagen zusammen, die Menschen hatten andere Bedürfnisse als hochwertige, handgefertigte Gartenmöbel aus afrikanischem Mahagoni.
Ich hatte ein volles Möbellager. Aber keinen Cent. Ich war Produktmillionär, und hatte doch nichts mehr. Mit leeren Taschen musste ich meine Heimat verlassen.
Er träumt davon, wieder kreativ und handwerklich arbeiten zu können. Die Zeit bis dahin will er jedoch nicht mit Nichtstun vergeuden. Er will arbeiten, seine Möbel verkaufen, seinen Lebensunterhalt selbst verdienen und Erfahrungen sammeln, von denen er irgendwann, zurück in seiner Heimat Syrien, profitieren kann.